V. Schlußbetrachtung


Zusammenfassung

Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit war, die Entwicklungsgeschichte des Homerecording-Verfahrens über die letzten drei Jahrzehnte zu beschreiben und dabei einen Einblick in entstandene Anwendungsbereiche zu geben. Aussagen von Musikern, die schon seit längerer Zeit im eigenen Heimstudio arbeiten, trugen mit dazu bei, inhaltliche Aspekte und typische Erscheinungsformen einer musikalischen Produktionsweise aufzuzeigen, deren Einsatzmöglichkeiten besonders in den 80er Jahren sehr vielfältig geworden sind.

Die in der Untersuchung deutlich gewordene musikalische Entwicklung einiger Homerecordisten spiegelt m.E. im beschränkten Rahmen den allgemeinen Verlauf der Homerecording-Entwicklung wider - sowohl von der technischen als auch von der inhaltlichen Seite her.
So sind die Phasen, welche die vorgestellten Musiker durchlaufen haben, in etwa vergleichbar mit den einzelnen Zeitabschnitten der allgemeinen Homerecording- Geschichte - im Groben aufgeführt:

- Arbeit mit einfachen Tonbandgeräten
- Stereo-Mitschnitte und Multiplay
- Aufnahmen in Mehrspurtechnik
- Computereinsatz

Dabei bedeutet der Eintritt in eine neue Phase keinesfalls, daß ältere Aufzeichnungsformen hinfällig würden. So finden einfache Tonbandgeräte (oder Cassettenrecorder) im heutigen digitalen Zeitalter nach wie vor bei Musikern und Tonbandamateuren Verwendung, um Vorträge mitzuschneiden und festzuhalten.
Das wurde ebenfalls bei den meisten der untersuchten Personen deutlich, die z.B. nicht auf den Einsatz von Tonbandgeräten oder Portastudios verzichten wollen, obwohl sie mittlerweile hauptsächlich mit Computern arbeiten. Es kommt eben auf die jeweilige Situation oder den speziellen Verwendungszweck an, welcher Aufnahmemethode man den Vorzug gewährt.

Durch technischen Fortschritt hervorgebrachte neue Aufnahmemethoden im Heimbereich stellen für den Musiker eine Erweiterungsmöglichkeit seines eigenen Schaffens dar, sind allerdings immer verbunden mit z.T. erheblichen Kostenaufwendungen, da "... HOMERECORDING mit Sicherheit nicht zu den preiswertesten Beschäftigungen zu zählen ist ..."(342). Es stellt sich also immer die Frage, welche Instrumente und welches Aufnahme-Equipment man sich leisten kann.

Doch die Faszination, die von Kompaktstudios und heute besonders von Computersystemen ausgeht, ist groß und verleitet regelrecht zur Anschaffung der teuren Geräte, z.B. zeigen von Werk aus vorprogrammierte 'Demonstrations-Songs' in Drumcomputern oder MIDI-Sequenzern sehr effektiv die Möglichkeiten der neuen Musiktechnologie auf und lassen manchen Durchschnittsmusiker mit dem scheinbar einfachen 'Hit-Producing' liebäugeln, das er meint, sich mit solchen Geräten 'erkaufen' zu können.

Oftmals werden die Anforderungen, die solches Equipment an den Anwender stellt, unterschätzt und die eigenen musikalischen Fähigkeiten, um im Heimstudio produzieren zu können, überschätzt. So kamen im Rahmen dieser Arbeit diejenigen Musiker nicht zur Sprache, die Homerecording anfangs für sich als neue Chance betrachteten, Musik zu verwirklichen, die es jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgaben und ihre Studio-Ausrüstung verkauften, weil sie von dieser Arbeitweise schlichtweg überfordert waren.

Modernes Homerecording läßt zwar einige der herkömmlichen musikalischen Grundvoraussetzungen - wie etwa technische Fertigkeiten auf dem Instrument - weniger wichtig werden (z.B. durch Spielhilfen oder schrittweises Programmieren und Aufnehmen), erfordert jedoch gleichzeitig andere Fähigkeiten des Benutzers, um es zu seinem kreativen und persönlichen Musikwerkzeug werden zu lassen:

* Technisches Verständnis, zumindest im funktionalen Sinne, ist notwendig, um freien Arbeitsfluß und klanglich aktzeptable Resultate zu gewährleisten. "Der Musiker muß nicht mehr nur sein Instrument beherrschen, sondern auch mit dem Medium Studio und seiner Technik umzugehen wissen."(343) Die Elektronik muß auf den eigenen Ausdruck abgestimmt werden, bei digitalen Systemen z.B. wird ein Umdenken musikalischer Parameter in Zahlenwerte erforderlich - für viele Musiker ein ungewohnter Lernprozess.

* Anders als beim herkömmlichen kollektiven Musizieren muß der Homerecordist lernen, Musik zu analysieren und zu organisieren, um sie als Ganzes - letztendlich in Form der Endabmischung - auf gewünschte Weise erklingen lassen zu können. Dabei setzt das planende und vorprogrammierende Arbeiten im Heimstudio ein abstraktes Vorstellungsvermögen von Musik sowie eine gewisse Zielvorstellung und Entscheidungsfähigkeit voraus.

* Musizieren und Arbeiten im Alleingang ohne direkte Kommunikation und Rückkoppelung mit anderen erfordert vom Musiker, wandlungsfähig zu sein. Mit sich selbst zu spielen heißt, mit sich selbst zu kommunizieren und bedeutet, verschiedene musikalische Rollen (etwa durch verschiedene Instrumentenstimmen) annehmen und verkörpern zu können.

Beim Homerecording verschmelzen verschiedene Aufgabenfelder der Musikproduktion (Komponieren, Arrangieren, Interpretieren, tontechnische Aufnahmearbeit und Produzieren) ineinander, die Grenzen dieser einzelnen Bereiche sind verschoben oder sogar aufgehoben, im Extremfall konzentrieren sich alle Funktionen auf eine Person.
"Durch das Arbeiten mit Drumcomputern, Klangcomputern, Homerecordingstudios etc. kann man diese Spartentrennung nicht mehr durchführen. Heute sind - man mag es bedauern oder befürworten - alle Musiker prädestiniert, Schreiber, Sänger oder der eigene Produzent zu sein."(344)

Die solistische Arbeitsweise der meisten Homerecordisten, zurückgezogen in die eigenen vier Wände, scheint dem gegenwärtigen 'Zeitgeist' zu entsprechen, der m.E. ganz auf Individualismus ausgerichtet ist und in den verschiedensten gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbereichen den Typ des 'Einzelkämpfers' zunehmend herausgebildet hat - u.a. auch im Sport (z.B. Tennis!) oder in der zeitgenössischen Musikszene des Rock-, Pop- und Jazzbereichs. So ist heute m.E. nicht mehr die Zeit der Bands, die sich über mehrere Jahre hinweg im Kollektiv stetig weiterentwickeln (wie es in den 60er oder 70er Jahren viel häufiger vorzufinden war), sondern eher die Zeit der kurzen intensiven Projekte von Musikern - meist nach der Konzeption und unter der Leitung eines Einzelnen.

Auch Homerecording tendiert m.E. stark in Richtung 'individuelle Selbsterfahrung/Selbstdarstellung'. Kommunikation und Austausch mit anderen findet meist nicht beim Komponieren oder Aufnehmen, sondern über das fertige Produkt statt, das Musizieren in der Gruppe nimmt für viele Homerecordisten nicht mehr unbedingt vorrangige Stellung ein oder ist zumindest deutlich geprägt von der heimischen Vorarbeit im Studio des Komponisten.

Thilo von Westernhagen beobachtet, "... daß immer mehr Leute Homerecording betreiben und dabei die Live-Musik vernachlässigen - Einzelkämpfertum statt Gruppenarbeit. Man sollte nicht vergessen, daß Musik grundsätzlich ein Kommunikationsmittel ist - mit dem Publikum oder dem Mitmusiker. Das individuelle musikalische Arbeiten, das Homerecording den Musikern ermöglicht, die neuen Regionen, die man beim Spiel mit sich selbst eröffnen kann, all das ist im Prinzip zwar nur zu begrüßen, jedoch betrachte ich es als Verarmung, ja als musikalische Onanie, wenn jemand nicht die Chance sucht und nutzt, mit anderen zu kommunizieren. Allerdings halte ich - und das ist sehr wichtig - Purismus nicht für angebracht. Letztendlich ist das inhaltliche Umfeld entscheidend."(345)

Westernhagen spricht hier zuletzt einen wichtigen Punkt an: Das inhaltliche Umfeld des Homerecording.

M.E. wird der Aspekt des Kommunikationsverlusts und das damit verbundene Problem der Vereinsamung oft zu Unrecht beklagt oder zumindest überbewertet, da modernes Homerecording im richtigen Zusammenhang gesehen und beurteilt werden sollte:

Das alleinige Arbeiten im Heimstudio kann - wie sich auch in der Untersuchung gezeigt hat - wesentlich mehr sein als eine Ersatzhandlung für kollektives Musizieren, denn es stellt für einige Musiker mittlerweile eine eigenständige Musizierweise dar, die nichts mit live- musikalischen Spiel- und Stilarten zu tun hat. Mit Hilfe moderner musikelektronischer Geräte - vor allem bei computergesteuerter Musik - wird es dem Einzelnen ermöglicht, elektronische Kunstaufnahmen entstehen zu lassen und so seine eigenen 'musikalischen Bilder zu malen' - ähnlich einem bildenden Künstler, dessen Solo-Status ja seit Jahrhunderten auch nicht in Frage gestellt wird.

Isolationsprobleme entstehen nicht zwangsläufig durch diese neue Arbeitsweise, eher treten sie dann in Erscheinung, wenn der eigene musikalische Anspruch im Heimstudio nicht erfüllt werden kann und die Interaktion mit anderen Musikern nicht gesucht, sondern verdrängt wird. So gibt es m.E. heutzutage Musiker, die krampfhaft am Homerecording-Verfahren festhalten, weil sie diese Methode für unabdingbar halten, um in der Musikszene 'mitreden' zu können, obwohl es für sie vielleicht befriedigender wäre, in Bands oder Orchestern - eben auf herkömmliche Art und Weise - zu musizieren.


 

Situation und Ausblick

Diese Arbeit stellt eine Art Zwischenbilanz der Homerecording-Entwicklung dar in einer Zeit der Veränderung und Neuorientierung von Musik und Musizieren.
"Der Umgang mit dem Musikinstrument wird mehr und mehr entsinnlicht, abstrakter, theoretischer"(346), die fortschreitende Digitalisierung im Bereich der Musikelektronik löst eine Verschiebung herkömmlicher musikalischer Wertvorstellungen aus und läßt neue entstehen.

Der gegenwärtige Stand des Homerecording ist m.E. nicht eindeutig zu benennen oder zu umreißen, da sich die Studio- und Musikinstrumententechnologie seit den letzten Jahren in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess befindet:

"Mit dem musikalischen Einsatz von elektronischen Instrumenten, Keyboards, Drumcomputern, Sequencern oder Gitarrensynthesizern sowie Computern mit geeigneter Musik-Software sind bestimmte musikpraktische, künstlerische und musikästhetische Konsequenzen verbunden, deren Tragweite zur Zeit noch nicht vollkommen überschaubar ist."(347)

Digitale Syteme haben auf dem elektronischen Instrumentensektor und im Bereich der Studio-Peripherie weitgehend Einzug gefunden, Computer steuern diverse musikalische Prozesse, speichern Parametereinstellungen und Programmabfolgen. Kürzlich kam das erste Computer-Mischpult mit komplett digitaler Signalverarbeitung auf den Homerecording-Markt, das wohl den Trend zur Automatisierung von Mischvorgängen einleiten wird. Als derzeitiger Verkaufsschlager erweisen sich sogenannte 'Workstations': Kompakte Keyboard-Systeme mit integriertem Synthesizer, Sample-Sounds-Ausrüstung (samt reichhaltiger Palette an Drum- und Percussionsounds), digitaler Effektsektion (Hall, Echo, Equalizer, Chorus usw.) plus mehrspurigem MIDI-Sequencer. Solche kompletten Elektronik-Studios sind schon für 3000 bis 4000 DM zu erwerben.

Die Möglichkeiten moderner Musik- und Computertechnologie sind so unermeßlich groß, daß der gezielte Zugang für den Laien erschwert ist. Bei der Anwendung der Geräte bauen die meisten Homerecordisten entweder auf für sie nachvollziehbare Strukturen auf, z.B. indem sie herkömmliche Instrumente und Spielweisen imitieren, oder sie probieren das faszinierende technische 'Spielzeug' auf naive Art aus und setzen es experimentell ein. Um das wahre Potential erkennen und nutzen zu können, gilt es m.E. für den Musiker, sich in die neue Materie einzuarbeiten und einen Weg zu finden zwischen Faszination und eigener musikalischer Idee.

Doch es wird bestimmt noch einige Zeit vergehen, bis die derzeit noch andauernde 'Spielphase' überwunden sein wird:
"Wenn man sich überlegt, daß die Geschichte des Musizierens Jahrtausende umfaßt und die des Musizierens mit Hilfe von Computern vielleicht 4, 5 Jahre, dann sollte man ein bißchen Geduld haben, bis sich eine Virtuosität auch im geistigen Umgang mit Computern entwickelt. Die andere hatte tausende Jahre Zeit sich zu entwickeln."(348)

"Der Fortschritt ist sicherlich nicht aufzuhalten, aber die weitgehende Zersplitterung aller Bereiche ist zu vermeiden. Es ist wohl klar, daß die vielzitierte Herrschaft der Maschine über den Menschen nur in dem Maße wirksam werden kann, wie der Mensch nichts mehr von sich selbst einbringt. Je mehr die Ideen Substanz haben, desto sinnvoller kann man auch mit den neuen Musikmaschinen arbeiten."(349)
Falls sich die Industrie auf eine (bislang noch nicht) einheitliche Norm für digitale Signalverarbeitung einigen kann(350), wird digitales Homerecording nicht mehr lange auf sich warten lassen - entweder in Form von digitalen Mehrspur-Cassettenrecordern oder lösch- und bespielbaren CD-Systemen.(351) Somit wäre sämtliche Musik, auch akustische Signale (herkömmliche Musikinstrumente oder die menschliche Stimme), als Klang- und Ablaufinformation speicherbar.

"Spätestens dann, das wird man prognostizieren dürfen, werden sich viele Tonstudios warm anziehen müssen"(352), da technisch bedingte Soundqualität prinzipiell jedem Homerecording-Amateur zur Verfügung stehen wird. Voraussichtlich brauchen Tonstudios dann nur noch aufgesucht werden, um vom Know-How erfahrener Tonmeister profitieren zu können, jedoch nicht mehr unbedingt, um eine technisch professionelle Aufnahmemöglichkeit zu haben.

Bisher finden Homerecording-Produktionen nur dann kommerzielle Verwertung, wenn die im Vergleich zu aktuellen Top-Einspielungen hörbar abfallende Tonqualität in Kauf genommen wird: Z.B. als Archivmusik (eilige oder billige Filmvertonungen(353), Werbemusik(354), etc.) oder im Vertrieb kleiner 'Independent-Labels'(355). In einem eigenen digitalen Heimstudio könnten talentierte Homerecordisten zukünftig unter relativ tragbarem finanziellen Aufwand hochqualitativ, d.h. dem professionellen Standard entsprechend, produzieren und würden dadurch die Chance bekommen, ihre Heimprodukte auf dem etablierten Tonträgermarkt (größere Schallplattenfirmen, Film- und Fernsehgesellschaften etc.) anzubieten. Als freie Produzenten, die hochwertiges Master-Material liefern, würden sie für die Industrie interessant werden, da bei einem sogenannten 'Bandübernahme-Vertrag'(356) die meist sehr hohen Produktionskosten entfallen und so das Risiko bei der Vermarktung der Musik geringer ist.

Doch bleibt es abzuwarten, inwieweit hausgemachte Musikproduktionen in Zukunft den Markt prägen werden, denn diesbezügliche Prognosen sind eher spekulativ. Überhaupt wird es sich in der Musikwelt zeigen, welche Auswirkungen die zunehmende "Privatisierung der institutionellen Technologie"(357) mit sich bringt.

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