Vorwort

'Homerecording' - zu deutsch Heimstudioarbeit - ist ein relativ junger Begriff, der sich zu Beginn der 80er Jahre in der Musikwelt manifestierte, als die ersten Hobby-Tonstudios für den privaten und semiprofessionellen Gebrauch auf den Markt kamen. Im eigentlichen Sinne umfaßt 'Homerecording' "... alle Tonaufnahmen, die in irgendeiner Form im Do-it-yourself-Verfahren von nicht- professionellen Anwendern gemacht werden." (1)

Schon seit den Anfängen in den 50er Jahren erfreut sich die kreative Beschäftigung mit Tonbandgeräten allgemeiner Beliebtheit, Amateure jeden Alters zeichnen Musikvorträge auf, konservieren Klänge oder experimentieren mit Geräuschen. Doch mit dem Aufkommen der kleinen Mehrspur-Studios vor ca. 9 Jahren wurde eine neue Homerecording-Ära eingeleitet: Es eröffneten sich plötzlich "... auch für ... weniger betuchte Musiker ganz neue Perspektiven ..."(2), da ihnen jetzt ein Aufnahmeverfahren zur Verfügung stand, das dem professioneller Tonstudios vom Prinzip her glich. Seitdem hat Kleinstudio-Homerecording enormen Zulauf bei Musikern, insbesondere mit den ständig steigenden Aktivitäten im Bereich der Pop- und Unterhaltungsmusik(3), zu der dieses Aufnahmeverfahren prädestiniert zu sein scheint.

Die sich gerade in den letzten zehn Jahren rasant weiterentwickelnde Musikindustrie hat die technischen Voraussetzungen zum Homerecording geschaffen, laufend werden neue, bessere und preiswertere Geräte angeboten - seit einiger Zeit zunehmend computergesteuerte Systeme. Die Möglichkeit, sich unter vertretbarem finanziellen Aufwand ein Heimstudio aufzubauen und es auf vielfältige Weise musikalisch-kreativ nutzen zu können, spricht heutzutage einen weitgefächerten Personenkreis an, angefangen beim Hobbymusiker über den Amateur-Tontechniker bis zum professionell arbeitenden Musiker. Homerecording hat in der Musikwelt einen eigenen Stellenwert erlangt und bildet in der Industrie inzwischen einen eigenen Marktzweig.

Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, das Phänomen Homerecording näher zu betrachten. Welche Möglichkeiten werden geboten, damit diese Aufnahmeweise so großen Anklang findet? Wer sind die Benutzer, mit welchen Geräten arbeiten sie zu welchem Zweck? Mit welchem musikalischen Ziel?


Bei der Behandlung der vorliegenden Thematik ergeben sich zwei elementare Bereiche, die miteinander in engem Zusammenhang stehen: Die materiell-technische und die inhaltliche Seite des Homerecording. Verschiedenartige Aufnahmesysteme sind mit speziellen, meist technisch bedingten Arbeitsweisen verbunden, die unterschiedliche inhaltliche Überlegungen (z.B. zur Erstellung einer Komposition) voraussetzen oder sogar auslösen können. Die Entwicklung neuer Studiogeräte und Musikinstrumente hat musikpraktische Auswirkungen zur Folge und führt zu veränderten oder erweiterten Einsatzmöglichkeiten des "Equipments"(4).

Im ersten Kapitel der Arbeit werden zunächst einige notwendige Termini erläutert - es sei anzumerken, daß Homerecording Gebiete berührt, die allgemeingültigeren Charakter haben, wie z.B. Akustik, Musikelektronik, allgemeine Tontechnik oder Musikinstrumente. Danach erfolgt eine kurze Abhandlung über die Geschichte der professionellen Tonstudiotechnik, aus der sich die Entstehung der Heimstudio-Technologie z.T. unmittelbar ableitet. Die Darstellung der Entwicklung des Homerecording von den Anfängen bis heute ist in einzelne Phasen gegliedert. Es soll jeweils aufgezeigt werden, wie ein typisches Heimstudio aussieht, welche Instrumente in der Regel zum Einsatz kommen und welche generellen technischen Möglichkeiten sich dem Homerecordisten anbieten. Spezielle Literatur zum Thema ist nur spärlich vorhanden. Sie beschränkt sich weitgehend auf Musikfachzeitschriften, die dem Interessierten einen Überblick über das sich auf dem Markt befindliche Geräteangebot verschaffen wollen, Neuheiten vorstellen und auch in Form von 'Workshops' die Anwendungsmöglichkeiten des Homerecording-Equipments aufzeigen. Erst 1986 erschien das erste und bislang einzige ausführliche Buch speziell zum Thema Heimstudio in deutscher Sprache(5).

Den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet die Untersuchung der vielfältigen Erscheinungsformen des Homerecording seit Beginn der 80er Jahre. Neben musiktechnischen Aspekten soll besonders die inhaltlich-künstlerische Arbeit im Heimstudio beleuchtet werden:
Der moderne Homerecordist stellt meist eine Verschmelzung aus Komponist, Interpret, Aufnahmeleiter und Tontechniker dar, daher beschreibt das Arbeiten im Heimstudio einen musikalisch-kreativen Prozess. Die Fragestellungen lauten hier weniger 'Wie?' (Technik) oder 'Womit?' (Equipment), sondern eher 'Was?' (Inhalt) und 'Warum?' (Intention).

Bei der Behandlung der inhaltlichen Seite des Themas gerät man zwangsläufig in sehr individuelle Bereiche, da Homerecording-Aufnahmen immer vom persönlichen Ausdruck ihres Schöpfers geprägt sind. Da ich mich selbst seit zehn Jahren mit Heimstudioarbeit beschäftige und mit vielen Musikern in dieser Form zusammengearbeitet habe, konnte ich kennenlernen, auf welch unterschiedliche Weise einzelne Homerecordisten ihre musikalischen Zielvorstellungen verfolgen, und wie individuell sie technische Problemstellungen oder inhaltliche Entscheidungsfragen für sich lösen. Künstlerische Arbeit ist nicht rational faßbar oder gar begründbar, doch halte ich es für sinnvoll, in dieser Arbeit Aspekte der schöpferischen Tätigkeit aus der Sicht der 'Macher' selbst aufzuzeigen:

Beispielhaft werden acht Homerecordisten aus verschiedenen musikalischen Arbeitsbereichen vorgestellt und ihre persönlichen Vorgehensweisen erläutert. Die Informationen dazu stammen aus Interviews und Gesprächen, die ich aus diesem Anlaß mit den entsprechenden Personen geführt habe. In einer anschließenden Auswertung soll versucht werden, die Homerecordisten auf bestimmte Kriterien hin zu untersuchen, um typische Erscheinungsformen von Heimstudioarbeit erkennbar werden zu lassen.

Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit Auswirkungen des Homerecording-Verfahrens auf Musiker und Musikwelt, u.a. soll der Frage nachgegangen werden, ob Homerecording typische Kompositions- und Musizierformen hervorbringt oder neuartige Herangehensweisen an Musik bewirken kann.

Bis auf wenige Produktionen, die mit teurem Equipment hergestellt werden und die eine Klangqualität erreichen können, die zur medialen Umsetzung taugt (z.B. Schallplatten), sind Homerecording-Aufnahmen in der Regel für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, das gilt insbesondere für - m.E. oft äußerst hörenswerte - Werke von Amateuren. Deswegen läßt sich in dieser Arbeit leider nicht auf entsprechende Musikbeispiele verweisen.



 

Zur Terminologie

Die vorliegende Thematik bewegt sich hauptsächlich innerhalb des Feldes der 'Musiktechnologie' in Verbindung mit der 'Musikpraxis'. Diese Begriffe bedürfen zunächst einer näheren Erläuterung:

Die 'Musiktechnologie', ein sehr umfassender Begriff, bezieht sich im Rahmen dieser Arbeit größtenteils auf das Gebiet der "Musikelektronik"(6), da Homerecording in direktem Zusammenhang mit elektronischen Geräten, Instrumenten, Funktionen und Prozessen steht wie bei der:

* Klangerzeugung (z.B. Synthesizer)
* Klangsteuerung (z.B. Sequencer, Computer)
* Klangverarbeitung (z.B. Filter, Hallgerät)
* Schallwandlung & Klangverstärkung (z.B. Tonabnehmersysteme, Mikrofone, Verstärker & Lautsprecheranlage)
* Klangspeicherung (z.B. Tonbandgeräte, Naturklangspeicher).

Bis auf die 'Klangerzeugung' lassen sich alle genannten musikelektronischen Gattungen ebenfalls der 'Tonstudiotechnik' zuordnen, einem speziellen musiktechnischen Bereich, der die gesamte aufnahmetechnische Apparatur und ihre funktionelle Anwendung beinhaltet.
In der Tonstudiotechnik - und damit beim Homerecording - kommt ebenfalls einem weiteren musiktechnischen Gebiet wesentliche Bedeutung zu, und zwar der "Akustik"(7) bzw. der "Elektroakustik"(8), da Tonaufnahmen eng mit schallspezifischen Gesetzen und Wirkungen verbunden sind.

'Musikpraxis' umfaßt sämtliche Arten persönlicher musikalisch-kreativer Ausführung und bezieht sich bei der Heimstudioarbeit auf:

* Das Musizieren (Singen und Spielen von Instrumenten)
* Die gedankliche Planung von Musik und deren funktionelle Umsetzung (Komponieren, Arrangieren, Programmieren von Klängen)
* Die Klanggestaltung (Bearbeiten und Mischen von Klängen).

Das Programmieren und Bearbeiten von Klängen muß m.E. in diesem Zusammenhang gleichberechtigt mit aufgeführt werden, weil solche Tätigkeiten - insbesondere beim modernen Homerecording - über funktionelle Arbeit hinaus einen eigenen musikalisch-kreativen Stellenwert einnehmen.

Viele Begriffe der modernen Musiktechnologie sind der englischen Sprache entnommen und werden im internationalen Fachvokabular geführt. Da die technischen Innovationen im Bereich der Audio- und Musikelekronik in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich von der japanischen und amerikanischen Industrie ausgingen, konnten sich die jeweiligen englischen Fachtermini meist weltweit durchsetzen und als eigenständige Worte behaupten.(9) Einerseits gibt es in anderen Sprachen oft keine entsprechenden Bezeichnungen (wie z.B. für 'Synthesizer'), andererseits dient ein einheitliches Vokabular der unmißverständlichen Kommunikation. In einem solch vielschichtigen und zuweilen komplizierten Bereich wie der neuen Musiktechnologie kann das m.E. nur von Vorteil sein.
In den folgenden Kapiteln der Arbeit werden englische Begriffe, die eigenen Stellenwert besitzen (z.B. 'Take', 'Mix', 'Sound', 'Overdub', 'Master'), nach kurzer Definition oder unter Hinweis auf Fachlexika in den Text miteinbezogen.

Die ebenfalls englische Bezeichnung 'HOMERECORDING' für Heimstudioarbeit hat sich mittlerweile hierzulande 'eingebürgert' und bedeutet wörtlich genommen 'das Aufzeichnen (von Musik) zu Hause'. Zwar ist dieser beschriebene Vorgang dem privaten Anwender schon seit den 50er Jahren praktisch möglich, nur wurde er früher anders umschrieben: Man sprach vom 'Tonbandhobby', von 'Vertonungen' oder 'privaten Tonbandaufnahmen'.(10) In den 70er Jahren kamen erste englische Bezeichnungen dafür auf wie "Personal Multitrack Recording"(11) und 'Homerecording', die eng im Zusammenhang mit der Entwicklung des Mehrspuraufnahmeverfahrens im außerprofessionellen Bereich stehen. Der Begriff 'Homerecording' hat sich nun in den 80er Jahren etabliert, in der Fachliteratur ebenso wie in der musiktechnischen Umgangssprache.(12)

Für Personen, die im Heimstudio arbeiten, gibt es keine einheitliche Bezeichnung. Das mag damit zusammenhängen, daß die Tätigkeiten im Homerecording-Bereich nicht eindeutig bestimmt sind, d.h. jemand kann zugleich Tontechniker, Komponist und ausführenden Musiker in einer Person vereinen. In Fachzeitschriften ist gelegentlich vom 'Multitracker' die Rede, doch dieser Umschreibungsversuch ist m.E. zu unpräzise gewählt, da er den wichtigen Aspekt der Heimarbeit nicht berücksichtigt. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich im folgendenden den ebenfalls gebräuchlichen Begriff "Homerecordist"(13) verwenden.



Nächstes Kapitel: I. Geschichtlicher Überblick
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